Über den Forschungsbau
Bauten für Forschung und Lehre als wissenschaftliche Infrastrukturen
Mit wenigen Ausnahmen sind Forschung und Lehre auf Bauten angewiesen. Dies gilt für Vorlesungen und Seminare ebenso wie für Experimente oder das Lesen und Schreiben. Zwar ist es schön, wenn manchmal draußen gearbeitet werden kann, doch ohne Gebäude geht es nicht. Die Euphorie, dass Lehre und Forschung im Zeitalter der Digitalisierung zu einem großen Teil online stattfinden können und sollten, hat sich nach wenigen Jahren als nicht tauglich erwiesen. Zwar ist vieles online und im Homeoffice möglich, aber letztlich ist Forschung wie Chorgesang eine kollektive Tätigkeit, wie Ludwik Fleck bereits vor fast hundert Jahren geschrieben hat. Man muss beieinander sein, um gemeinsam forschen zu können. Dies gilt vergleichbar für die Lehre.
Umso erstaunlicher ist es, dass sich die Wissenschafts- und Hochschulforschung bislang kaum mit Gebäuden für Forschung und Lehre befasst haben. In den Forschungen über wissenschaftliche Infrastrukturen sind sie ebenfalls höchstens ein Randthema. Dabei kann nur eine wissenschaftsorientierte Forschung die Voraussetzungen dafür schaffen, Kriterien und Maßstäbe zu entwickeln, die diese Bauten erfüllen müssen, um als wissenschaftliche Infrastrukturen zu gelten und das Zertifikat Hochschulbau oder Forschungsbau zu verdienen.
Viele Gebäude, in denen wissenschaftliche Einrichtungen untergebracht sind und in denen gelehrt wird, erfüllen nicht im Geringsten die Anforderungen an wissenschaftliche Infrastrukturen. Oftmals handelt es sich um verlassene Bürobauten, die für andere staatliche oder private Einrichtungen unattraktiv geworden sind, oder um Übergangsgebäude, die nur für wenige Jahre geplant waren, aber tatsächlich seit über einem halben Jahrhundert als Zwischenstation genutzt werden.
Nur solche Bauten können als Hochschul- und Forschungsbauten gelten, die speziell für Forschung und Lehre geplant und realisiert wurden. In ihnen materialisieren sich Lehr- und Forschungskonzepte. Für Forschungsbauten ist dies die Grundvoraussetzung. Sie werden zur Umsetzung einer Forschungsprogrammatik gebaut. In ihnen manifestieren sich Forschungsfragen, -konzepte und -methoden. Forschungsbauten – wie Infrastrukturen insgesamt – sind deshalb Vorgriffe auf eine durch sie ermöglichte Forschungszukunft. Doch auch eine solche Ausrichtung ist nicht unproblematisch: Wenn sich die Forschungsfragen und - methoden wandeln oder ehemals hoch relevante Forschungsgebiete an Bedeutung verlieren, muss sich das Gebäude verändern und an eine neue Forschungsagenda anpassen lassen. Beton und andere Baumaterialien sind jedoch im Allgemeinen nicht so flexibel. Der erste Schritt zum Forum Wissenschaftsreflexion bestand für uns Wissenschaftler:innen deshalb darin, auf der Grundlage der Forschungsprogrammatik zu überlegen, was der Bau für unsere zukünftige Forschung leisten soll.
Wissenschaftsreflexive Forschungsprozesse – architektonisch fördern
Bevor mit der architektonischen Umsetzung der Forschungsprogrammatik begonnen wurde, haben sich die Forschenden darüber ausgetauscht, welche wissenschaftlichen Möglichkeiten der Bau für die Wissenschaftsreflexion schaffen soll. Es wurden vier Funktionen identifiziert: kommunizieren und kooperieren, durchdenken und verfassen, recherchieren, erheben und auswerten sowie präsentieren und diskutieren.
Im zweiten Schritt wurden diese Aufgaben in eine bildliche Funktionsbeschreibung übersetzt. Diese Übersetzung schuf den Übergang von den wissenschaftlichen Reflexionen zur architektonischen Planung. Dabei standen zwei Fragen im Mittelpunkt: Welche Räumlichkeiten braucht wissenschaftsreflexive Forschung? Wie sind diese zueinander anzuordnen?
Im dritten Schritt wurden die Räume geplant.
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1. Die Agora - Kommunizieren und Kooperieren
1. Die Agora - Kommunizieren und Kooperieren
Im ersten Stock des Forums Wissenschaftsreflexion befindet sich eine Agora, die als zentraler Treffpunkt für geplante sowie ungeplante wissenschaftliche Gespräche und Diskussionen dient. Sie ist medial ausgestattet, um als Ort verdichteter wissenschaftlicher Kommunikation zu fungieren. Auch in den anderen Stockwerken wurden offene Begegnungsflächen geschaffen, um dort ebenfalls Gelegenheiten für spontane Begegnungen und gegenseitige Anregungen zu haben.
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2. Die Wissenswerkstatt - Recherchieren, Erheben und Auswerten
2. Die Wissenswerkstatt - Recherchieren, Erheben und Auswerten
Die Wissenswerkstatt bietet attraktive und mit einer virtuellen Forschungsumgebung ausgestattete Arbeitsplätze, die sich sowohl für Einzel- als auch Gruppenarbeit eignen. Auch Gastwissenschaftlerinnen und Gastwissenschaftler sind hier willkommen. Für die Forschung mit Datensätzen, für die besonders hohe Anforderungen an den Datenschutz gelten, sind zwei abgetrennte Räume vorhanden. Die Büroräume des fdz.DZHW und des Lab Wissensinfrastrukturen des TIB gruppieren sich um die Wissenswerkstatt, so dass jeder Zeit eine unkomplizierte Beratung erfolgen kann und zu einer intensiven wissenschaftlichen Zusammenarbeit mit der Forschungsinfrastruktur angeregt wird.
Die Wissenswerkstatt ist wie die Agora im ersten Stock angesiedelt und beide sind durch einen Rundgang miteinander verbunden. Dadurch können Forschungsideen und -fragen, die in der Agora entstehen, unmittelbar in der Wissenswerkstatt recherchiert und vertieft werden.
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3. Veranstaltungs- und Arbeitsräume - Präsentieren und Diskutieren
3. Veranstaltungs- und Arbeitsräume - Präsentieren und Diskutieren
Für größere Tagungen und Konferenzen steht ein Vortragssaal für ca. 180 Personen zur Verfügung. Für Workshops und Arbeitsgruppentreffen können zwei Besprechungsräume für jeweils bis zu 30 Personen genutzt werden. Ein Besprechungsraum ist speziell für Videokonferenzen eingerichtet.
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4. Büro - Durchdenken und Verfassen
4. Büro - Durchdenken und Verfassen
Die Büroräume wie auch die Räume für die Gastwissenschaftlerinnen und Gastwissenschaftler liegen in den Außenbereichen auf jeder Etage des Baus. Damit garantieren sie eine ruhige Arbeitsatmosphäre. Die Büros sind auf Einer-, Zweier- und Dreierbesetzung ausgelegt.